Der Mensch ist Gefange-ner seiner Alltäglichkeit. Die Tage vergehen in unveränderlicher Reihen-folge. Die Tätigkeiten folgen im monotonen Rhythmus. Wir treffen immer dieselben Gesich-ter, falls wir sie erkennen und unterscheiden, oder auch eine gesichtslose Menge, ohne individuelle Merkmale. Eindrücke, immer wieder und wieder und wieder empfunden, berauben uns unserer
Empfindlichkeit. Von der Welle der verfließenden Zeit gepackt, abgestumpft, mit alltägli-chen Beschäftigungen beschäftigt, den normalen Reihenfolglichkeiten hingegeben, beharren wir, während wir immer weiter vergehen.
Und plötzlich, in einem unvorgesehenen Moment, von unerklärlichem Impuls geführt, von einer unausdrückbaren Stimmung, einer unerwarteter Nachdenklichkeitweile, Aufleuchtung: wir merken! Wir sehen!! Wir leben auf!!! Die Alltäglichkeit bekommt einen
Wert. Sie ist nicht mehr alltäglich. Sie nimmt Gestalt ein. Sie bekommt Gesicht. Ihre Ge-sichtzüge werden deutlicher. Wir beginnen ihre Unwiederholbarkeit, ihre Ungewöhnlichkeit, ihre Sonderbarkeit und ihre Besonderheit wahrzunehmen.
Die Fotogramme von Ewa sind eben solche Bezauberungen. Manchmal von Werken anderer Künstler provoziert, unter anderen Aspekten gesehen, neu ergriffen, in anders-artiger Licht. Oft und öfter sind es jedoch Gegenstände in ihrer Gewöhnlichkeit banal,
und doch visuell überraschend. Treppen, Geländer, Pflaster, Schnurgeflecht, Gleise und Netzleitungen der Eisen oder der Straßenbahn, Geschirr, Handwerkers Arbeitszeug, exoti-sche Pflanzen einheimisches Gemüse – jedes überraschendes Thema wird
zum THEMA. Die trocknenden Fischersnetze umwandeln sich in ein beinahe abstraktes Spiel von Licht, Schatten, Verdichtungen und Verflechtungen. In sich vertrauensselige, in holpriger Hülle geschlossene Kürbise explodieren mit Farbe und Licht wie mit Leidenschaft.
Diese Visionen finden auf seltsame Weise einen Weg zu unseren Emotionen, als ob sie eine Anspielung wären an irgendwas, was wir zwar bereits vorahnen, was uns aber noch nicht voll bewusst ist.
Und ein Ansporn sind sie, damit wir unsere Augen breiter aufmachen und beginnen wieder zu sehen und zu leben.
Maciej Berlin, Kulturküche, Berlin