Dr. Karolina Zychowicz

Dr. Karolina Zychowicz – Kunsthistorikerin, Dozentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wrocław und am Institut für Visuelle Künste der Universität Zielona Góra. Von 2011 bis 2023 arbeitete sie in der Zachęta – Nationalgalerie für Kunst.

 

 

 

Thema: Konzepte des Realismus in der polnischen Kunstkritik (1945–1955)

Der Begriff „Realismus“ erlangte in der polnischen Kunstkritik im Zeitraum von 1945 bis 1955 enorme Popularität. Er war jedoch ziemlich ungenau, da er oft gegensätzliche Phänomene verbarg. Vor der Einführung des Sozialistischen Realismus wurde der Realismus sehr weit gefasst, vor allem als ein Konzept, das sich mit der Wirklichkeit modernisierte. 1946 präsentierte Tadeusz Dobrowolski das traditionellste Realismus-Konzept, das für Künstler aus dem Umfeld der Avantgarde als umstritten und mit Naivität verbunden galt. Gegner des mimetischen Realismus waren unter anderem Tadeusz Kantor und Mieczysław Porębski, die behaupteten, Kunst sei ein Abbild der Realität. In ihrem Manifest Pro domo sua tauchte der Ausdruck „verstärkter Realismus“ auf. 1948 organisierten sie in Krakau die erste Ausstellung der modernen Kunst, auf der der Realismus im Kontext der Beziehungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik der Gegenwart präsentiert wurde. Im Zeitraum der Einführung des Sozialistischen Realismus in Polen wurde der geforderte Realismus als ein „goldener Mittelweg“ zwischen Formalismus und Naturalismus interpretiert. „Formalismus“ war ebenfalls ein Begriff, der in der Sowjetunion geprägt wurde und sich auf die Avantgarde, westliche Kunstströmungen und die Faszination für die westliche Kultur bezog. Man versuchte, diesen durch das Prinzip der nationalen Form zu bekämpfen, das heißt durch die Entnahme aus dem Folklore- und Volksstil. In der Sowjetunion galt die Doktrin des Sozialistischen Realismus bis zum Tod Stalins im Jahr 1953, und erste Veränderungen traten drei Jahre später nach der Rede Nikita Chruschtschows auf dem 20. Parteitag auf. Ähnliche Prozesse waren auch im polnischen Kunstleben zu beobachten, da die Diskussion über die Vielfalt der Realismusformen nach dem Krieg wieder aufgenommen wurde.