Prof. Dr. habil. Dariusz Stola

Dariusz Stola, Direktor des Museums der Polnischen Juden, ist Historiker, Professor im Institut fürPolitische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften PAN. In seinerForschung beschäftigte er sich mit der Geschichte der jüdisch-polnischenBeziehungen, mit der Geschichte der Volksrepublik Polen und der Geschichte derinternationalen Migration im 20. Jh. Seine Publikationen umfassen über hundertwissenschaftliche Artikel und zehn Bücher, darunter:  Hoffnungund Vernichtung / Nadzieja i zagłada (1995); Antizionistische Kampagne in Polen 1967-1968 / Kampaniaantysyjonistyczna w Polsce 1967-1968 (2000); Patterns of Migration inCentral Europe (2001, zus. mit C. Wallace); Land ohne Ausweg? Migrationen aus Polen 1948-1989  / Kraj bez wyjścia? Migracje z Polski 1948-1989(2010); PVAP als Machtmaschine /PZPR jako machina władzy (2012, mit K. Persak). Seine Buchpublikationen wurden vielfach preisgekröntund ihr Autor mit dem Ritterkreuz des Ordens Polonia Restituta  für seine Verdienste um die Forschung zurGeschichte Polens ausgezeichnet.  Mitgliedder Wissenschaftsbeiräte vieler Institutionen und Zeitschriften im In- undAusland, darunter des Internationalen Auschwitz-Rates.

Thema: TausendJahre jüdische Präsenz in der polnischen Geschichte
Die Geschichte Polens und dieGeschichte der Juden sind auf eine außergewöhnliche Weise miteinander verwoben. Zum Ersten: Die historischen GebietePolens wurden als eines der wenigen europäischen Länder dauerhaft von derjüdischen Bevölkerung bewohnt, während etwa in Spanien, England, Russland oderNorwegen in verschiedenen geschichtlichen Perioden die Juden vertrieben wurdenoder sich in diesen Ländern nicht niederlassen durften. Zum Zweiten: EinigeJahrhunderte lang stellte das polnische Judentum die größte jüdischeGemeinschaft in der Welt dar: Sie umfasste über die Hälfte aller Juden. Immigrationund Bevölkerungsentwicklung hatten zur Folge, dass Juden ca. 10% der Bevölkerungim polnischen Gebiet ausmachten, wobei im Falle der städtischen Bevölkerung dieserProzentsatz noch höher war. Die Juden leisteten einen erheblichen Beitrag zurwirtschaftlichen Entwicklung des Landes, insbesondere in Handel, Handwerk undFinanzen. Zum Dritten: Die zahlenmäßig starke jüdische Gemeinschaft hatte überJahrhunderte eine eigenständige und vielfältige Kultur hervorgebracht, wodurchsie sich von der Kultur der jüdischen Gemeinschaft in anderen Ländern abhob. Diesekulturelle Besonderheit der polnischen Juden überdauerte sogar das 19.Jahrhundert, nachdem der polnische Staat von der Landkarte Europas verschwundenwar, und sie wurde durch die massenhafte Migration auf andere Kontinente,insbesondere nach Amerika und nach Palästina getragen. Im polnischen Gebietentstanden und entwickelten sich Ideenströmungen, die für die Geschichte derDiaspora eine Schlüsselrolle spielten, wie Chassidismus, Zionismus undBündismus; das religiöse Leben und die Literatur in jiddischer Sprache erlebtenin Polen ihre Blüte. Zum Vierten: Im 19. und 20. Jahrhundert leisteten Judenund Polen jüdischer Herkunft einen erheblichen gesellschaftlichen,wirtschaftlichen und kulturellen Beitrag, sie engagierten sich für PolensUnabhängigkeitsbestrebungen und für karitative Zwecke; polnischeWissenschaftler jüdischer Herkunft trugen zur Entwicklung der Forschung in Polenund der Welt bei, indem sie mehrfach mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Die polnische und jüdische Geschichte verbindet auch die größte Tragödie: Polnische Juden waren die erste und gleichzeitig größte Opfergruppe der nazistischen Endlösung. Die Deutschen haben im besetzten Polen die meisten Ghettos gebildet und die Vernichtungslager eingerichtet, wo die aus ganz Europa transportierten Juden ermordet wurden. Nur  10% von über 3,3 Millionen der polnischen Juden erlebten das Kriegsende. Ein Großteil der Überlebenden verließ das Nachkriegspolen in mehreren Migrationswellen. Nach 1968 verblieben dort weit weniger als 20 tausend Juden und es hatte den Anschein, dass die jüdisch-polnische Geschichte bald ihr Ende finden würde. Doch seit 1989 ist in Polen überraschenderweise die Wiedergeburt einer kleinen, aber sehr dynamischen jüdischen Gemeinschaft zu beobachten.

All das zeigt tiefe und vielschichtige Beziehungen zwischen der polnischen und jüdischen  Geschichte. Diese Beziehungen sind dermaßen wichtig, dass ohne sie weder die Geschichte Polens noch die der jüdischen Diaspora zu begreifen ist. Diese über Jahrhunderte zusammengewachsene Geschichte zeigt das Warschauer Museum Polin. In dem Vortrag werden kursorisch ausgewählte Elemente dieser Kultur und gleichzeitig die Gründe dafür gezeigt, warum dieses Museum in kurzer Zeit über eine Million Besucher angelockt hat.