Joanna Boniecka

Joanna Boniecka im Dialog mit Dr. Piotr Olszówka

Joanna Boniecka, Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin, Autorin journalistischer und wissenschaftlicher Beiträge, Herausgeberin von Publikationen, Kuratorin des Nachlasses
von Zbylut Grzywacz, Forscherin zu seinem Leben und Werk, Kuratorin von fast zwanzig posthumen Ausstellungen des Künstlers, Herausgeberin seiner schriftstellerischen,
pädagogischen und sammlerischen Werke, Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende vom Freundesverein des Werkes von Zbylut Grzywacz.

Humanismus, Geisteswissenschaften, der Mensch. In diesem akademischen Jahr richtet sich die Reflexion unserer Gäste auf den Wandel des Menschenbildes.
In Anlehnung an Rorty, der sich auf Kundera beruft, bewegen wir uns auf die Feststellung zu, dass es nicht die Wissenschaft oder die Philosophie, sondern vor
allem die Literatur und die Kunst sind, die es ermöglichen, sich in einer neuen, veränderten Welt wiederzufinden. Die polnische Perspektive zeichnete sich in den modernen
Geisteswissenschaften durch die besondere Stellung der „doppelt Begabten“, der Künstler-Schriftsteller wie Wyspiański, Witkacy und Czapski aus. Nach 1968 war Zbylut Grzywacz
einer der wichtigsten polnischen Künstler, die sich im gesellschaftlichen Leben engagierten, auch als Autor von Reden und literarischen Texten – ein Krakauer Maler und Mitglied
der Gruppe WPROST, die ideologisch mit den Schriftstellern der Gruppe TERAZ verbunden war, zu der auch Adam Zagajewski gehörte.

Zbylut Grzywacz war politisch aktiv als Mitglied der ZPAP (Vereinigung Polnischer Künstler und Designer), er war Professor an der Akademie der Schönen Künste in Krakau, während
des Kriegsrechts interniert, ein Künstler, der die Ziele seines Schaffens klar formulierte. Er malte realistisch und stellte die „nicht dargestellte Welt“ des kommunistischen Polens dar,
von den Ereignissen des März 1968, über die 1970er Jahre, die Zeit der „Solidarność“ und des Kriegsrechts. Seine Bilder enthüllten, was unsichtbar bleiben sollte: das Leiden
des „sozialistischen“ Alltags, insbesondere das Leiden der „gestuhlten“ Frauen, (in Anlehnung an Andrzej Wróblewskis „Erschießungen“), die in Warteschlangen stehen, liegen,
Porträts, die gequälte Körper auf eine deklarativ naturalistische und doch symbolische Weise darstellen.

Das wichtigste Merkmal von Grzywacz‘ Werk ist die Empathie. Die von ihm gemalten Menschen, meist Frauen, sind keine Objekte der Betrachtung, sondern erlangen Subjekthaftigkeit.
Diese ethische, empathische Herangehensweise an die Malerei wird bei Grzywacz noch durch die Dimension des Wortes verstärkt, das sowohl direkt im sozialen Kampf als auch als literarische Aussage zum Tragen kommt.

Die Kunst von Grzywacz ist Geisteswissenschaft, die neue Geisteswissenschaft. Sie kreiert und reflektiert zugleich das kollektive kulturelle Bewusstsein.